node created 2019/09/29
Ich wollte Ihnen so gern durch die Mathilde etwas schicken, habe aber hier leider gar nichts, als das kleine bunte Tüchlein; lachen Sie's nicht aus; es sollte Ihnen nur sagen, daß ich Sie sehr liebe.
Du mußt in dein ganzes Leben wie in jede einzelne Handlung Ordnung bringen, und wenn du dir bei allen Handlungen sagen kannst: Ich tat nach besten Kräften, so kannst du ruhig sein, und daß du deine ganze Kraft einsetztest, daran kann dich niemand hindern. "Aber es kann sich von außen her ein Widerstand erheben?" Gewiß keiner gegen ein gerechtes, besonnenes und überlegtes Handeln. Aber vielleicht tritt sonst etwas deiner Tätigkeit in den Weg? Doch lässest du dir nur jenes Hindernis gefallen und schreitest zu dem, was dir noch freisteht, mit Überlegung fort, so tritt sogleich ein neuer Gegenstand der Tätigkeit an die Stelle und wird sich in die Lebensordnung fügen, von der wir reden.
"Selbstbetrachtungen"
Wahrhaftigkeit ist die größte List.
Ich kann es nicht verstehen, wie heute „fromme“ Leute fürchten um die Existenz Gottes, weil die Menschen seine Spuren mit Schwert und schändlichen Taten verfolgen. Als habe Gott nicht die Macht (ich spüre, wie alles in seiner Hand liegt), die Macht. Fürchten bloß muss man um die Existenz der Menschen, weil sie sich von Ihm abwenden, der ihr Leben ist.
9. August 1942
Den gerechten Menschen ist es so ernst mit der Gerechtigkeit, dass sie, gesetzt den Fall, Gott wäre nicht gerecht, nicht eine Bohne sich um Gott kümmerten.
Es gibt keine Absurdität, die so handgreiflich wäre, daß man sie nicht allen Menschen fest in den Kopf setzen könnte, wenn man nur schon vor ihrem sechsten Jahre, anfienge, sie ihnen einzuprägen, indem man unablässig und mit feierlichstem Ernst sie ihnen vorsagte.
Wir wollen uns nicht als Märtyrer fühlen, obwohl wir manchmal Grund dazu hätten. Denn die Reinheit unserer Gesinnung lassen wir uns von niemanden antasten. Unsere innere Kraft und Stärke ist unsere stärkste Waffe.
27. November 1937
Echtes ehren, Schlechtem wehren, Schweres üben, Schönes lieben.
Wenn ein Gegenstand der Außenwelt dich mißmutig macht, so ist es nicht jener, der dich beunruhigt, sondern vielmehr dein Urteil darüber; dieses aber sofort zu tilgen, steht in Deiner Macht. Hat aber die Mißstimmung in deinem Seelenzustande ihren Grund, wer hindert dich, deine Ansichten zu berichtigen? Desgleichen, wenn du darüber mißmutig bist, daß du dich nicht in einem Tätigkeitskreise befindest, der dir als vernünftig erscheint, warum nicht lieber tätig als mißgestimmt sein? "Aber ein Hindernis, stärker als ich, stellt sich in den Weg." So sei dennoch nicht mißmutig; der Grund deiner Untätigkeit liegt ja dann nicht in dir. "Aber das Leben hat keinen Wert mehr für mich, wenn das nicht ausgeführt wird." Nun, so scheide aus dem Leben, so ruhig, als wenn du es vollbracht hättest; doch vergiß nicht, deinen Widersachern zu verzeihen.
"Selbstbetrachtungen"
Wir kennen keinen vollkommenen totalitären Herrschaftsapparat, denn er würde die Beherrschung der gesamten Erde vorraussetzen. Wir wissen aber genug von den immer noch vorläufigen Experimenten totaler Organisation, um zu erkennen, daß die durchaus mögliche Vervollkommnung dieses Apparats menschliches Handeln in dem uns bekannten Sinne abschaffen würde. Handeln würde sich als überflüssig erweisen im Zusammenleben der Menschen, wenn alle Menschen zu einem Menschen, alle Individuen zu Exemplaren der Gattung, alles Tun zu Beschleunigungsgriffen in der gesetzmäßigen Bewegungsapparatur der Geschichte oder der Natur und alle Taten zu Vollstreckungen der Todesurteile geworden sind, die Geschichte und Natur ohnehin verhängt haben.
"Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft", S. 683
Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von den Deinen. Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüsstest Du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen voreinander so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle.
Wie könnte man da von einem Schicksal erwarten, dass es einer gerechten Sache den Sieg gebe, da sich kaum einer findet, der sich ungeteilt einer gerechten Sache opfert. – Ich muss hier an eine Geschichte des Alten Testamentes denken, wo Mose Tag und Nacht, zu jeder Stunde, seine Arme zum Gebet erhob, um von Gott den Sieg zu erbitten. Und sobald er einmal seine Arme senkte, wandte sich die Gunst von seinem kämpfenden Volke ab. Ob es wohl auch heute noch Menschen gibt, die nicht müde werden, ihr ganzes Denken und Wollen auf eines ungeteilt zu richten?
22. Mai 1940
Die Freundschafft, die der Wein gemacht,
Würckt wie der Wein, nur eine Nacht.
Ich verdiene es nicht, mich selbst zu betrüben, da ich ja nicht einmal einen andern jemals geflissentlich betrübt habe.
"Selbstbetrachtungen"
Ungehindert kannst du dein Leben in größter Seelenruhe hinbringen, wenn auch alle Menschen nach Herzenslust ein Geschrei wider dich erheben, ja wenn selbst die wilden Tiere die schwachen Glieder dieser dich umhüllenden Fleischmasse zerreißen sollten. Denn was hindert deine denkende Seele, trotz alledem sich bei vollständiger Heiterkeit zu erhalten, die Umstände richtig zu beurteilen und die ihr dargebotenen Gelegenheiten erfolgreich zu benutzen? So sagt das Urteil zum Ereignis: Das bist du dem Wesen nach, auch wenn du der Meinung nach anders erscheinst; und die Benutzung spricht zur Gelegenheit: Dich suchte ich eben; denn immer bietet mir die Gegenwart Stoff zur Ausübung einer vernünftigen und staatsbürgerlichen Tugend und soll mir Anlaß geben, meine Pflicht gegen Gott und Menschen zu erfüllen. Steht ja doch jedes Begegnis im innigsten Bezug zu Gott oder zum Menschen und ist mithin nichts Unerhörtes oder schwer zu Behandelndes, sondern vielmehr etwas Bekanntes und Leichtes.
"Selbstbetrachtungen"
Dabei wissen wir doch:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.
"An die Nachgeborenen"
Der offenbare Widerspruch zwischen einer Geheimgesellschaft und einer Massenorganisation verliert jede Bedeutung angesichts der Tatsache, daß die den Geheimgesellschaften eigene Struktur die Möglichkeit bot, die totalitäre Dichotomie zwischen der eigenen Bewegung und der gesamten Außenwelt, welche ihrerseits auf der blinden Feindseligkeit der Massen gegen den gesamten Bestand des Bestehenden, ohne Ansehen irgendwelcher Nuancen und Differenzierungen, beruhte, zu einem organisatorischen Prinzip zu machen. Eine Organisation, die nach dem Prinzip aufgebaut ist "Wer nicht eingeschlossen ist, ist ausgeschlossen", "Wer nicht für mich ist, ist wider mich", raubt der Welt jene wirklich existierende Mannigfaltigkeit, die für Massen, die in ihr ihren Platz und damit ihre Orientierungsmöglichkeit verloren haben, nur verwirrend und sogar untragbar ist. Die Aufteilung zwischen "uns" und allen anderen flößt diesen Massen die gleiche uneingeschränkte Loyalität ein wie den Gliedern geheimer Gesellschaften das Geheimnis selbst, in das sie eingeweiht sind. Jede totalitäre Bewegung behauptet, daß außerhalb von ihr alle Wirklichkeit "absterbe", eine Behauptung, die dann unter den mörderischen Bedingungen totaler Herrschaft sich sehr drastisch bewahrheiten; im Stadium vor der Machtergreifung gibt keine andere Behauptung den Massen, die ja vor ihrer eigenen, unverschuldeten Direktionslosigkeit und Desintegration in das fiktive Heim der Bewegungen geflohen sind, einen so handgreiflichen Trost und eine so einleuchtende Hoffnung.
"Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft", S. 563 f.
Dieser Konsumismus gründet darin, dass wir eine Gesellschaft sind, die von Geschäftsinteressen dominiert wird. Es gibt eine massive Propaganda, die jedermann zum Konsum anhält. Konsum ist gut für die Gewinne, und Konsum ist gut für das politische Establishment. [...] Konsum lenkt die Menschen ab. Die eigene Gesellschaft lässt sich schlecht mit der Armee kontrollieren, aber sie lässt sich durch Konsum ablenken. Die Wirtschaftspresse ist da deutlich zielgerichtet.
SPIEGEL 41/2008, S. 183
Wie schwer es sein muss, hier einen Weg zu finden, kommt vielleicht am deutlichsten in der gängigen Redensart zum Ausdruck, das Vergangene sei noch unbewältigt, man müsse erst einmal daran gehen, die Vergangenheit zu bewältigen. Dies kann man wahrscheinlich mit keiner Vergangenheit, sicher aber nicht mit dieser. Das höchste, was man erreichen kann, ist zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist, und dann zu sehen und abzuwarten, was sich daraus ergibt.
Man glaubt, daß man sich wünscht, den SS-Mann umbringen zu können. Doch wenn man ein wenig darüber nachdenkt, weiß man, daß man sich irrt. So einfach ist das gar nicht. Man möchte ihn nämlich zunächst einmal mit dem Kopf nach unten aufhängen, die Beine in die Luft. Und sich schieflachen, sich wirklich schieflachen. Jene, die Menschen sind, wir, die wir menschliche Wesen sind, wir möchten auch ein wenig spielen. Wir würden des Spiels schnell müde werden, aber was wir möchten, ist dies: Kopf nach unten, Füße in die Luft. Das möchten wir gern mit den Göttern tun.
"Das Menschengeschlecht"
Seite 111