node created 2019/09/29
Eine echte Nachricht hat eine genau angebbare Quelle; nicht umsonst wird sie in keiner Zeitung wiedergegeben, ohne daß diese Quelle, daß Zeit und Ort ihrer Entstehung angegeben würden. Nachrichten sind für Unterhaltungszwecke im allgemeinen ungeeignet, sie sind kein Genuß-, sondern ein Orientierungsmittel.
Die leichte Möglichkeit des Briefeschreibens muß - bloß theoretisch angesehn - eine schreckliche Zerrüttung der Seelen in die Welt gebracht haben. Es ist ja ein Verkehr mit Gespenstern und zwar nicht nur mit dem Gespenst des Adressaten, sondern auch mit dem eigenen Gespenst, das sich einem unter der Hand in dem Brief, den man schreibt, entwickelt oder gar in einer Folge von Briefen, wo ein Brief den andern erhärtet und sich auf ihn als Zeugen berufen kann. Wie kam man nur auf den Gedanken, dass Menschen durch Briefe mit einander verkehren können! Man kann an einen fernen Menschen denken und man kann einen nahen Menschen fassen, alles andere geht über Menschenkraft. Briefe schreiben aber heißt, sich vor den Gespenstern entblößen, worauf sie gierig warten. Geschriebene Küsse kommen nicht an ihren Ort, sondern werden von den Gespenstern auf dem Wege ausgetrunken. Durch diese reichliche Nahrung vermehren sie sich ja so unerhört. Die Menschheit fühlt das und kämpft dagegen, sie hat, um möglichst das Gespenstische zwischen den Menschen auszuschalten, und den natürlichen Verkehr, den Frieden der Seelen zu erreichen, die Eisenbahn, das Auto, den Aeroplan erfunden, aber es hilft nichts mehr, es sind offenbar Erfindungen, die schon im Absturz gemacht werden, die Gegenseite ist soviel ruhiger und stärker, sie hat nach der Post den Telegraphen erfunden, das Telephon, die Funkentelegraphie. Die Geister werden nicht verhungern, aber wir werden zugrundegehn.
Brief an Milena Jesenská, März 1922
Niemand wird den ungeheuren Zuwachs an Wissen und Mach leugnen, den die Entwicklung der Naturwissenschaften dem Menschen eingetragen hat; kurz vor dem Anbruch der Neuzeit wußte die europäische Menschheit weniger als Archimedes im dritten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, und die ersten fünfzig Jahre unseres Jahrunderts enthalten eine größere Anzahl entscheidender Entdeckungen als alle Jahrhunderte der uns bekannten Geschichte zusammengenommen. Aber wer wüßte nicht, daß man die gleiche Entwicklung mit kaum weniger Recht auch für das nachweisliche Anwachsen der Verzweiflung, für die Entzauberung der Welt, für die Entstehung des Nihilismus, der ein spezifisch neuzeitliches Phänomen ist, verantwortlich machen kann, daß diese einst esoterischen Phänomene sich immer breiterer Bevölkerungsschichten bemächtigt haben, und daß heute - vielleicht das bezeichnendste Symptom für die Unvermeidlichkeit dieser Begleiterscheinungen - auch die Forschung selbst, deren begründeter Optimismus sich noch im neunzehnten Jahrhundert so auffallend von dem nicht weniger gerechtfertigten Pessimismus der Denker und Dichter abhob, von ihnen nicht mehr verschont ist. Das Naturbild der modernen Physik, dessen Anfänge man bis auf Galileo zurückverfolgen kann und das dadurch entstand, daß das Vermögen des menschlichen Sinnesapparats, Wirklichkeit zu vermitteln, in Frage gestellt wurde, zeigt uns schließlich ein Universum, von dem wir nicht mehr wissen, als daß es in bestimmter Weise unsere Meßinstrumente affiziert; und das, was wir von unseren Apparaten ablesen können, sagt über die wirklichen Eigenschaften, in dem Bilde Eddingtons, nicht mehr aus, als eine Telephonnummer von dem aussagt, der sich meldet, wenn wir sie wählen. Anstatt mit objektive Eigenschaften, mit anderen Worten, finden wir uns mit den von uns selbst erbauten Apparaten konfrontiert, und anstatt der Natur oder dem Universum begegnen "wir gewissermaßen immer nur uns selbst".
"Vita Activa"
Geschichte wird von Menschen gemacht, aber nicht von prominenten Individuen, von fetischähnlichen Figuren, denen abzugucken wäre, wie sie sich räuspern und wie sie spucken...
Wohltätigkeit ist das Ersäufen des Rechts im Mistloch der Gnade.
Objektivität ist ein Kriterium, das auf die Story schlechterdings nicht anwendbar ist. Maßgebend für das Gelingen einer Story ist einzig und allein ihr Effekt. Die Forderung nach Richtigkeit geht nicht, wie bei der Nachricht, aus ihrem Wesen hervor: Sie wird von außen an sie herangetragen, ja, genaugenommen kann eine Story gar nicht richtig sein, sondern höchstens die in ihr verarbeiteten Details.

[..]

Der Story-Schreiber bleibt grundsätzlich anonym, er legt die Karten nicht auf den Tisch, er arbeitet aus dem Unsichtbaren. Das rührt nicht von seiner persönlichen Bosheit, sondern von den Gesetzen seiner Form her, die eine ästhetische Form ist. Story ist Fiktion: dementsprechend muß sich ihr Verfasser als Erzähler aufführen, als allgegenwärtiger Dämon, dem nichts verborgen bleibt und der jederzeit, wie nur je ein Cervantes ins Herz des Don Quichotte, ins Herz seines Helden blicken kann. Während aber Don Quichotte von Cervantes abhängt, ist der Journalist der Wirklichkeit ausgeliefert. Deshalb ist sein Verfahren im Grunde unredlich, seine Omnipräsenz angemaßt. Zwischen der simplen Richtigkeit der Nachricht, die er verschmäht, und der höheren Wahrheit der echten Erzählung, die ihm verschlossen bleibt, muß er sich durchmogeln. Er muß die Fakten interpretieren, anordnen, modeln, arrangieren, aber er darf es nicht zugeben, nicht Farbe bekennen, sich keine Blöße geben. Eine verzweifelte Position. Um sie zu halten, sieht sich der Story-Schreiber gezwungen, zu retuschieren, zwischen den Zeilen zu schreiben.
Nur zu oft ist der Erfinder der faustische Idealist, der die Welt verbessern möchte, aber an den harten Realitäten scheitert. Will er seine Ideen durchsetzen, muß er sich mit Mächten einlassen, deren Realitätssinn schärfer und ausgeprägter ist. In der heutigen Zeit sind solche Mächte, ohne daß ich damit ein Werturteil aussprechen möchte, vornehmlich Militärs und Manager. [..] Nach meiner Erfahrung sind die Chancen des Einzelnen, sich gegen solches Paktieren zu wehren, gering.
Was muss die Politik jetzt tun?

Sie muss sich schonungslos von Rechtsradikalen abgrenzen. Die Grenze muss schon bei Rassismus gezogen werden. Denn Rassisten haben durch die sozialen Netzwerke das Gefühl, einer Mehrheit anzugehören. Rechtsradikale Ideologien und Rassismus dürfen kein normaler Teil des politischen Diskurses werden. Dafür muss man auch Menschen ausgrenzen.
Die Bush-Regierung hat sehr wohl moralische Werte. Ihre moralischen Werte sind sehr explizit: poliere die Stiefel der Reichen und Mächtigen, trete allen anderen in's Gesicht, and lass die Enkelkinder dafür zahlen. Dieses einfache Prinzip schreibt fast alles vor, das geschieht.
Interview mit Steve Scher (20. April, 2005)
Nur dadurch, dass die Menschen alle Kräfte spannen und einander liebend helfen, erhalten sie sich in einer leidlichen Höhe über einer höllischen Tiefe, nach der sie wollen. Untereinander sind sie durch Seile verbunden, und bös ist es schon, wenn sich um einen die Seile lockern und er ein Stück tiefer sinkt als die andern in den leeren Raum, und gräßlich ist es, wenn die Seile um einen reißen und er jetzt fällt. Darum soll man sich an die andern halten. Ich habe die Vermutung, dass die Mädchen uns oben halten, weil sie so leicht sind, darum müssen wir die Mädchen lieb haben und darum sollen sie uns lieb haben.
Brief an Oskar Pollak, 20. Dezember 1903
In den Vereinigten Staaten ist das politische System nur am Rande von Bedeutung. Es gibt zwei sogenannte Parteien, aber sie sind in Wirklichkeit Fraktionen der gleichen Partei, der Geschäftspartei. Beide repräsentieren eine Reihe von Geschäftsinteressen. Sie können sogar ihre Positionen um 180 Grad wenden, ohne dass es überhaupt jemand merkt.
Interview mit Adam Jones, 20. Februar 1990
Einsiedelei ist widerlich, man lege seine Eier ehrlich vor aller Welt, die Sonne wird sie ausbrüten; man beiße lieber ins Leben statt in seine Zunge; man ehre den Maulwurf und seine Art, aber man mache ihn nicht zu seinem Heiligen.
Brief an Oskar Pollak, 6. September 1903
Wie schwer es sein muss, hier einen Weg zu finden, kommt vielleicht am deutlichsten in der gängigen Redensart zum Ausdruck, das Vergangene sei noch unbewältigt, man müsse erst einmal daran gehen, die Vergangenheit zu bewältigen. Dies kann man wahrscheinlich mit keiner Vergangenheit, sicher aber nicht mit dieser. Das höchste, was man erreichen kann, ist zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist, und dann zu sehen und abzuwarten, was sich daraus ergibt.
Wie unterschwellig solche Mechanismen funktionieren, zeigt folgendes Beispiel (vgl. Tages-Anzeiger, T.A., Zürich vom 11.2.1994). Beim Aussteigen aus einer Straßenbahn fühlt sich ein siebenundsiebzigjähriger Mann von einem anderen Mann behindert, weil dieser, da er mit dem Fahrer spricht, den Ausstieg blockiert. Der ältere Mann zieht einen Revolver, gibt aus einer Distanz von zwei bis drei Metern vier Schüsse auf den anderen ab und verschwindet. Zufällig wird der Schütze vier Wochen später in einem Restaurant wiedererkannt und verhaftet. Er streitet ab, geschossen zu haben, trägt aber eine Waffe ohne Waffenschein bei sich. Bei der Durchsuchung seines Hauses entdeckt die Polizei ein Waffenlager. Schließlich gesteht der Mann die Tat. Er macht jedoch geltend, "im Affekt" gehandelt zu haben, vom anderen "erschreckt" worden zu sein.

Eine gerichtliche Untersuchung wird eingeleitet und dann eingestellt. Laut Stellungnahme der Staatsanwältin habe sich der Siebenundsiebzigjährige in einem "Sachverhaltsirrtum" befunden. Er habe irrtümlich angenommen, er befinde sich in einer Notwehrsituation und sei deshalb berechtigt gewesen, sich zu wehren. Es sei verständlich, so die Staatsanwältin, daß er "übersensibel auf aggressive Spannungen und Äußerungen" reagiere.

"Was habe ich getan", fragte das Opfer einen Journalisten, "daß er auf mich schießen durfte?"

Wie sollen wir das "Mitgefühl" dieser Staatsanwältin verstehen? Warum stellt sie sich auf die Seite des Täters und schützt andere Bürger nicht vor ihm? Gibt ihre Haltung nicht jedem die Erlaubnis, zu morden? Was ist das für ein Mitgefühl, das uns gegen unsere eigenen Bedürfnisse und Interessen verstoßen, das uns den Schmerz des Opfers beiseiteschieben läßt und die tödliche Gefahr, die vom Täter ausgeht, verneint?
"Der Verlust des Mitgefühls"
Sich selbselbsten überwinden ist der allerschwerste Krieg;
Sich selbselbsten überwinden ist der allerschönste Sieg.
In Gefahr und grosser Noth
Bringt der Mittel-Weg den Tod.
Die Freundschafft, die der Wein gemacht,
Würckt wie der Wein, nur eine Nacht.
Auf der Wartburg herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anderes war als Haß des Fremden und dessen Glaube nur in der Unvernunft bestand, und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wusste als Bücher zu verbrennen!
Quarantäne-Häuser sprießen
Ärzte, Betten überall,
Forscher forschen, Gelder fließen -
Politik mit Überschall.
Also hat sie klargestellt:
Wenn sie will, dann kann die Welt.

Also will sie nicht beenden
das Krepieren in den Kriegen,
Das Verrecken vor den Stränden
und dass Kinder schreiend liegen
in den Zelten, zitternd, nass.
Also will sie. Alles das.
Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß ihre Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.