node created 2019/09/29
Die Prädestination und der freie Wille, diese beiden anscheinend nicht vereinbaren Gegensätze – jetzt machen sie mir eigentlich nicht mehr viele Schmerzen, obwohl ich sie so wenig erklären kann wie vorher. Dass Gott allwissend ist, daran glaube ich, und die notwendige Folgerung daraus ist, dass er auch von jedem einzelnen weiß, was nach der Zeit ist. Dies verlangt auch seine Eigenschaft als unendlicher Gott. Meinen freien Willen fühle ich, wer kann ihn mir beweisen!
12. Januar 1943
Was kann man über ein Land sagen, in dem ein wissenschaftliches Museum in einer großen Stadt ein Ausstellungsstück hat, wo die Leute von einem Helikopter aus mit einem Maschinengewehr auf Hütten in Vietnam feuern, mit aufblitzendem Licht, wenn ein Treffer gelandet wird? Was kann man über ein Land sagen, in dem solch eine Idee überhaupt nur in Erwägung gezogen wird? Man muß um dieses Land weinen.
"American Power and the New Mandarins" (1969)
Er hat viele Richter, sie sind wie ein Heer von Vögeln, das in einem Baum sitzt. Ihre Stimmen gehen durcheinander, die Rang- und Zuständigkeitsfragen sind nicht zu entwirren, auch werden die Plätze fortwährend gewechselt. Einzelne erkennt man aber doch wieder heraus, zum Beispiel einen, welcher der Meinung ist, man müsse nur einmal zum Guten übergehn und sei schon gerettet ohne Rücksicht auf die Vergangenheit und sogar ohne Rücksicht auf die Zukunft. Eine Meinung, die offenbar zum Bösen verlocken muß, wenn nicht die Auslegung dieses Übergangs zum Guten sehr streng ist. Und das ist sie allerdings, dieser Richter hat noch nicht einen einzigen Fall als ihm zugehörig anerkannt. Wohl aber hat er eine Menge Kandidaten um sich herum, ein ewig plapperndes Volk, das ihm nachäfft. Die hören ihn immer...
"Er", 14. Januar 1920
Kind, Kind, wenn du wüßtest! Sie erzählt von ihrer Hauswirtschaft in Wernigerode, von ihren Hühnern, vom Kirscheneinmachen, ja die Kirschenernte war besonders gut, doch leider gab es nicht so viel Zucker, wie man gebraucht hätte. Aber man müsse sich behelfen, es sei eben Krieg.

"Ja, es ist immer noch Krieg", nicke ich mechanisch und betrachte ihr hübsches, von keiner Not berührtes Gesicht. Ursula, denke ich, dir geht es besser als den meisten Frauen. Du hast ein schönes Haus, du hast einen tüchtigen Mann. Und er braucht nicht in die Bluthölle. Er ist Ingenieur und darf daheim an zuverlässigen Maschinen stehen.

Ursula hat nach allen Himmelsrichtungen eine loyale Seele und seit ihrer Maidenzeit beim Arbeitsdienst einige hitlerianische Spritzflecken im Gemüt. Ach, ich habe mich jahrelang viel zuwenig um die gute Ursula gekümmert. Wenn ich das nur noch einmal nachholen dürfte! Sie ist wahrhaftig ein liebes Kind, und wenn sie jetzt denkt, wer im Gefängnis sitzt, der müsse doch unrecht haben, so habe ich sie eben nicht zum geistigen Widerstand gegen diese Zeit erzogen.
"Kampf um den Kopf" (1948), Seite 120
Goethe spricht von den Deutschen als einem tragischen Volke, gleich dem der Juden und Griechen, aber heute hat es eher den Anschein, als sei es eine seichte, willenlose Herde von Mitläufern, denen das Mark aus dem Innersten gesogen und die nun ihres Kerns beraubt, bereit sind, sich in den Untergang hetzen zu lassen. Es scheint so - aber es ist nicht so; vielmehr hat man in langsamer, trügerischer, systematischer Vergewaltigung jeden einzelnen in ein geistiges Gefängnis gesteckt, und erst als er darin gefesselt lag, wurde er sich des Verhängnisses bewußt. Wenige nur erkannten das drohende Verderben, und der Lohn für ihr heroisches Mahnen war der Tod. Über das Schicksal dieser Menschen wird noch zu reden sein.
"Am Sonntag müssen wir etwas tun, so geht das nicht weiter. Wir müssen aus dem Hunger herauskommen. Wir müssen mit den Leuten reden. Es sind welche dabei, mit denen gehts rapide abwärts, sie lassen sich hängen, sie lassen sich kaputtgehen. Es sind sogar welche dabei, die vergessen, weshalb sie hier sind. Wir müssen miteinander reden."

Das trug sich im Tunnel zu, und das wurde von Lasttier zu Lasttier weitergesagt. So entstand eine Sprache, die nicht mehr die Sprache der Beschimpfung oder des Auswurfs aus dem Bauch war und die auch nicht das Hundegebell um den Kübel mit dem Nachschlag war. Diese Sprache hier schuf eine Distanz zwischen dem Menschen und der schlammigen, gelben Erde, hob ihn heraus, so daß er nicht mehr in ihr vergraben, sondern ihr Herr war, Herr auch über die leere Tasche seines Bauches. Mitten in der Grube, im gekrümmten Körper, im entstellten Kopf, öffnete sich die Welt.
"Das Menschengeschlecht"
Seite 271
Jede Gewaltherrschaft muß die Zäune der Gesetze dem Erdboden gleichmachen. Totalitärer Terror, sofern er dies in seinen Anfangsstadien auch tut, unterscheidet sich nicht prinzipiell von anderen Formen der Tyrannis. Nur daß dieser nicht den willkürlich-tyrannischen Willen eines einzelnen über die ihres Schutzes beraubten und zur Ohnmacht verdammten Menschen loslassen will, noch die despotische Macht eines einzigen gegen alle anderen, noch, und am allerwenigsten, die Anarchie eines Krieges aller gegen alle. Die Tyrannis begnügt sich mit der Gesetzlosigkeit; der totale Terror setzt an die Stelle der Zäune des Gesetzes und der gesetzmäßig etablierten und geregelten Kanäle menschlicher Kommunikation sein eisernes Band, das alle so eng aneinanderschließt, daß nicht nur der Raum der Freiheit, wie er in verfassungsmäßigen Staaten zwischen den Bürgern existiert, sondern auch die Wüste der Nachbarlosigkeit und des gegenseitigen Mißtrauens, die der Tyrannis eigentümlich sind, verschwindet, und es ist, als seien alle zusammengeschmolzen in ein einziges Wesen von gigantischen Ausmaßen. Auch dies drückt der auf totalitäre Verhältnisse so trefflich vorbereitete Volksmund auf seine Weise aus, wenn er nicht mehr von "den" Russen oder "den" Franzosen spricht, sondern uns neuerdings erzählt, was "der" Russe will oder "der" Franzose sei. Terror als der folgsame Vollstrecker natürlicher oder geschichtlicher Prozesse fabriziert dieses Einssein von Menschen, indem er den Lebensraum zwischen den Menschen, der der Raum der Freiheit ist, radikal vernichtet. Das Wesentliche der totalitären Herrschaft liegt also nicht darin, daß sie bestimmte Freiheiten beschneidet oder beseitigt, noch darin, daß sie die Liebe zur Freiheit aus dem menschlichen Herzen ausrottet; sondern einzig darin, daß sie Menschen, so wie sie sind, mit solcher Gewalt in das eiserne Band des Terrors schließt, daß der Raum des Handelns, und dies allein ist die Wirklichkeit der Freiheit, verschwindet.
"Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft", S. 682 f.
In Gefahr und grosser Noth
Bringt der Mittel-Weg den Tod.
Auch in der Tierforschung hat das Verneinen dieser Autonomietriebe zu verzerrten und falschen Ergebnissen geführt. 1967 zeigte der amerikanische Zoologe J. L. Kavanau in einer methodenkritischen Studie, daß experimentelle Situationen oft eher arrangiert werden, um vorgefaßte Ideen der Forscher zu bestätigen, als daß sie über die tatsächlichen Reaktionen der Versuchstiere (und ihren bedeutungsmäßigen Hintergrund) Aufschluß geben. Tiere zum Beispiel, die (aus Gründen der Anordnung) zum Zweck des Experimentierens in eine ihre Lebensbedingungen einschränkende Situation gezwungen werden, zeigen Reaktionen, die vom Beobachter als fehlerhaft eingestuft werden. Aus der Perspektive des Verhaltens der entsprechenden Tiere jedoch stellen diese »fehlerhaften« Verhaltensweisen bereichernde Variationen innerhalb ihrer für das Experiment einförmig gehaltenen Umgebung dar. Was für das Tier eine adaptive Reaktion gegenüber einschränkenden Lebensbedingungen ist, die zum Beispiel im Labyrinthlernen seinen Lebensbereich durch Abweichung und Anderung erweitern, ist für den Beobachter »fehlerhaftes« Verhalten, das über Lernprozesse oder biologische Bedürfnisse des Tieres Auskunft geben soll. Der Forscher muß ja das Verhalten des Tieres vom Standpunkt seines theoretischen Bezugsrahmens aus sehen, das Leben und die Lebendigkeit des Tieres als solche interessieren ihn nicht. Die »Fehler« des Tieres sind hier Artefakte einer mehr forscherspezifischen als tierspezifischen Versuchsanordnung. Was Kavanau illustriert und was die meisten Tierforscher ihrer eigenen Vorurteile wegen verneinen müssen, ist der unabweisbare Sachverhalt, daß im Leben Kräfte auftreten, die sich dem Auferlegen zwangsmäßiger Bedingungen entgegenstellen.

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Triebe wurden als unveränderliche und im Grunde bösartige Instinkte angesehen, die nur durch den Sozialisierungsprozeß zurückgehalten werden können (A. Gruen und M. Hertzman, 1972). Nicht nur wurde die Anpassung an die gegebene Realität zum Ziel der Entwicklung, sondern das Pathologische wurde als ein Versagen verstanden, sich der Realität anzupassen. Die Validität dieser Realität wurde nicht in Frage gestellt. Die Schuld am Kranksein trug der Kranke selbst. Daß das Pathologische angesichts pseudo-sozialer Realitäten manchmal die einzige Art sein könnte, Autonomie überhaupt aufrechtzuerhalten, lag völlig außerhalb des Rahmens solch einer Denkweise.
"Der Verrat am Selbst"
Die amerikanische Gesellschaft ist heute zivilisierter als früher. Das verdanken wir der Entwicklung in den sechziger Jahren. Unsere Gesellschaft, und auch die in Europa, wurde damals freier, offener, demokratischer und damit für viele furchteinflößend. Dafür wurde diese Generation verurteilt. Aber es hat Wirkung gezeigt.
SPIEGEL 41/2008, S. 185
Wenn ich beten will und überlege mir, zu wem ich bete, da könnte ich ganz verrückt werden, da werde ich dann so winzig klein, ich fürchte mich direkt, so dass kein anderes Gefühl als das der Furcht aufkommen kann. Überhaupt fühle ich mich so ohnmächtig, und ich bin es wohl auch. Ich kann um nichts anderes beten, als um das Betenkönnen. Weißt du, wenn ich Gott denke, da stehe ich da wie ganz mit Blindheit geschlagen, ich kann gar nichts tun. Ich habe keine, keine Ahnung von Gott, kein Verhältnis zu ihm. Nur eben, dass ich das weiß. Und da hilft wohl nichts anderes als Beten. Beten.
Dezember 1941
Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg. Das, was wir Weg nennen, ist Zögern.
Dass wir Gott nicht zwingen, wozu wir wollen, das liegt daran, dass uns zwei Dinge fehlen: Demut vom Grund des Herzens und kräftiges Begehren. Ich sage das bei meinem Leben, – Gott vermag in seiner göttlichen Kraft alle Dinge, aber das vermag er nicht, dass er dem Menschen, der diese zwei Dinge in sich hat, nicht Gewährung schenke. Darum gebt euch nicht mit kleinen Dingen ab, denn ihr seid nicht zu Kleinem geschaffen; denn weltliche Ehre ist nichts als eine Verwandlung und ein Irrsal der Seligkeit.
Dennoch, im Grunde verkörpern Bürokratien die vorherrschende Kultur des Fehlschlags als Produkt, das erwünschte Resultat und Endergebnis komplexer, wohlüberlegter, und anstrengender Herstellungsprozesse. Wie die Mehrheit der Menschen sind Bürokraten emotional in Fehlschlag investiert, nicht in Erfolg; sie florieren durch Fehlschlag, Unglück, und Notfall. Je schlimmer Desaster und Unfähigkeit, desto mehr Ressourcen fliessen den unersättlichen und sich stets ausweitenden Bürokratien zu (man denke an die US-Regierung nach den Terroranschlägen des 11. Septembers [2001]). Paradoxerweise wird ihr Erfolg an den Fehlschlägen gemessen, die sie ertragen mussten oder selbst herbeigeführt haben.
Selbst im Fall einer Revolution würden die Deutschen sich nur Steuerfreiheit, nie Gedankenfreiheit erkämpfen.
Es ist mehr als ein Zeichen allgemein menschlicher Schwäche oder spezifisch deutschen Opportunismus, daß die Allierten nach der Niederlage von Nazideutschland vergeblich nach einem einzigen überzeugten Nazi in der Bevölkerung fahndeten, und dies besagt nichts gegen die Tatsache, daß vermutlich achtzig Prozent des deutschen Volkes irgendwann einmal überzeugte Anhänger oder Sympathisierende der Nazis gewesen waren. Der Nazismus als eine Ideologie war so vollständig in der Organisation der Bewegung des Reiches "realisiert" worden, daß von seinem Inhalt als einem System bestimmter Doktrinen mit einer von der Realität unabhängigen geistigen Existenz nichts übriggeblieben war. [Dies ist der eigentliche Sinn dessen, daß "vom Standpunkt der Volksgemeinschaft jede Wertgemeinschaft eine Zersetzungsgemeinschaft" ist, wie der Nazi-Jurist R. Hoehn in seiner *Rechtsgemeinschaft und Volksgemeinschaft*, Hamburg 1935, feststellte.] Die Zerstörung der Nazifikation in der Wirklichkeit hinterließ buchstäblich nichts, nicht einmal den Fanatismus des Aberglaubens.
"Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft", S. 538