node created 2019/09/29
Dieser Konsumismus grĂŒndet darin, dass wir eine Gesellschaft sind, die von GeschĂ€ftsinteressen dominiert wird. Es gibt eine massive Propaganda, die jedermann zum Konsum anhĂ€lt. Konsum ist gut fĂŒr die Gewinne, und Konsum ist gut fĂŒr das politische Establishment. [...] Konsum lenkt die Menschen ab. Die eigene Gesellschaft lĂ€sst sich schlecht mit der Armee kontrollieren, aber sie lĂ€sst sich durch Konsum ablenken. Die Wirtschaftspresse ist da deutlich zielgerichtet.
SPIEGEL 41/2008, S. 183
Die Funktion der paraprofessionellen VerbĂ€nde jedoch ist bei beiden totalitĂ€ren Bewegungen die gleiche. Sie hĂ€ngt aufs engste mit dem "totalen" Charakter der Bewegung zusammen, die eine Organisation aufstellt, die von vornherein prĂ€tendiert, die gesamte Welt, die gesamte Gesellschaft zu reprĂ€sentieren. So wie es das ausgesprochene Endziel der Nazipropaganda war und die unausgesprochene Praxis des bolschewistischen Systems ist, nach der Machtergreifung das gesamte Volk als Sympathisierende (aber nicht als Parteimitglieder) zu organisieren, so ist das Ziel der totalitĂ€ren Bewegung, vor der Machtergreifung den Eindruck zu erwecken, daß man gleichsam komplett sei, das heißt alle Elemente der Gesellschaft in den eigenen Reihen habe. Die Nazis gingen in der Organisation einer kompletten Gegen-Welt vor der Machtergreifung noch einen Schritt weiter als die Bolschewisten und errichteten eine Reihe von Parteiinstitutionen, die genau nach dem Modell der staatlichen Ministerien gebildet waren. Keine dieser Parteiabteilungen - fĂŒr auswĂ€rtige Angelegenheiten, fĂŒr Erziehung, Kultur, Sport, und so weiter - hatte rein beruflich ein höheres Niveau als die paramilitĂ€rischen VerbĂ€nde. Alle zusammen bildeten eine vollkommene Scheinwelt, in der jede RealitĂ€t der nichttotalitĂ€ren Welt ihre genaue Entsprechung gefunden hatte.

Diese Verdoppelungstechnik, so wertlos fĂŒr die Machtergreifung im allgemeinen wie die paramilitĂ€rischen VerbĂ€nde, fĂŒr den bewaffneten Aufstand im besonderen, wurde dann von grĂ¶ĂŸter Bedeutung fĂŒr den sogenannten totalitĂ€ren Staat. Aber auch vor der Machtergreifung, innerhalb einer nichttotalitĂ€ren Welt, sind die paraprofessionellen Frontorganisationen von höchstem Wert. Sie dienen nicht nur der Komplettierung der fiktiven Welt der Bewegung, in der alles und alle, vom Straßenfeger bis zum UniversitĂ€tsprofessor, vertreten sein muß, sie bilden nicht nur unvergleichliche Werkzeuge fĂŒr die Unterminierung der betreffenden Sektoren einer noch nicht totalitĂ€ren Gesellschaft und ihres Berufsethos, sondern sie sind, gleich den paramilitĂ€rischen VerbĂ€nden, aufs genaueste bestimmten ideologischen MassenĂŒberzeugungen angepaßt, durch die sie karikierend das Zerrbild, das die Masse sich von bestimmten Berufsgruppen gemacht hat, in die Wirklichkeit umsetzen. Der Vorstellung, die in einer durch Krisen erschĂŒtterten Welt verstĂ€ndlich genug ist, daß die Vertreter des Rechts eigentlich Rechtsbrecher seien, wird entgegengekommen durch eine Organisation von Juristen, die Rechtsbrecher aus Überzeugung sind und das Verbrechen juristisch verteidigen; der Vorstellung, daß Ärzte eigentlich Mörder sind, wird entsprochen durch eine Ärzteorganisation, die alle diejenigen aufnimmt, die bereit sind, ihre eugenischen Prinzipien bis zu der Konsequenz des Mordes durchzufĂŒhren; der Vorstellung von der Ignoranz der Gelehrten wird nachgeholfen durch VerbĂ€nde an den UniversitĂ€ten, in denen nicht nur Ignoranz zugunsten sogenannter Charaktereigenschaften gepredigt, sondern offen demonstriert wird. Die totalitĂ€ren Bewegungen, mit anderen Worten, realisieren das Zerrbild, das die heimatlos und asozial gewordenen sich von der Gesellschaft gemacht haben, mit der gleichen Konsequenz, mit der sie die Wahnidee der Weisen von Zion sich zu eigen machen. Die FĂŒhrer der totalitĂ€ren Bewegungen, die selbst noch nichtotalitĂ€ren VerhĂ€ltnissen entstammen und die geheimen WĂŒnschen der Massen kennen, wissen sehr genau, daß hinter dem Zerrbild vom Rechtsvertreter als Rechtsverdreher, vom Arzt als Mörder, vom Gelehrten als dem Ignoranten der Wunsch steht, das Recht zu brechen, Menschen zu töten und das Wissen aus der Welt zu schaffen. Die totalitĂ€ren Bewegungen organisieren vor der Machtergreifung alle diejenigen Elemente in den verschiedenen Berufsgruppen, die diesen MassenwĂŒnschen bereits entsprechen, und verfĂŒgen damit ĂŒber ein fĂŒr jede Gruppe in der Gesellschaft spezifisch geeignetes Instrument der Zersetzung.

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Jedenfalls gehört es mit zu der Unterminierungsfunktion der paraprofessionellen Gruppen, die beruflichen MaßstĂ€be nach Möglichkeit zu senken und das spezifische Berufsethos jeder Gruppe zu untergraben. Die eigentĂŒmliche Substanzentleerung, die entweder bereits vorgebildet der Grund und Boden wird, auf dem die totalitĂ€ren Bewegungen entspringen und gedeihen können, oder als Vorbedingung totalitĂ€rer Herrschaft kĂŒnstlich nach der MachtĂŒbernahme hergestellt wird, wird durch die paraprofessionellen Gruppen aufs wirksamste gefördert. Die Tatsache, daß in solchen VerbĂ€nden automatisch diejenigen prominent werden, die an ihrem Beruf am wenigsten interessiert oder in ihm am schlechtesten weggekommen sind, ist hierbei sogar von zweitrangiger Bedeutung. Wesentlicher ist, daß ihre politische Schulung gerade darin besteht, ihren sachlich gebundenen und daher notwendig limitierten Vorstellungskreis zu "erweitern", bis sie gelernt haben, in Jahrhunderten und "Kontinenten zu denken". Allgemein gesprochen geht es um die Vorbereitung jener MentalitĂ€t, die mit Himmlers Worten "eine Sache nie um ihrer selbst willen tut".
"Elemente und UrsprĂŒnge totaler Herrschaft", S. 548 ff.
Die totalitĂ€re Bewegung benutzt die Frontorganisationen als einen Schutzwall, der die Mitgliedschaft, ihren fanatischen Glauben an die ideologische Fiktion und ihre "revolutionĂ€re" Moral gegen den Schock einer noch intakten Außenwelt schĂŒtzt; gleichzeitig dient die Frontorganisation der Mitgliedschaft als eine genau ĂŒberwachte BrĂŒcke in die NormalitĂ€t zurĂŒck, eine BrĂŒcke, ohne welche die Mitglieder vor dem Sieg der totalitĂ€ren Bewegungen den Gegensatz zwischen ihren Überzeugungen und den Ansichten aller ĂŒbrigen, zwischen der ideologischen Fiktion und der RealitĂ€t der normalen Welt allzu scharf empfinden wĂŒrden. WĂ€hrend des Kampfes der Bewegung um die Macht bewĂ€hrt sich die Frontorganisation gerade darin, daß sie die Parteimitglieder nicht nur isoliert, sondern ihnen gleichzeitig sich als NormalitĂ€t darbietet, ihnen ein Falsifikat der Außenwelt gibt, das den Einbruch der wirklichen Welt wirksamer abhĂ€lt als bloße Indoktrination und Fanatismus. Die deutliche Differenz zwischen seiner eigenen Haltung und der eines Sympathisierenden wird den Parteinazi oder Parteibolschewisten in seinem Glauben an die ideologisch-fiktive ErklĂ€rung von Welt und Geschichte gerade darum bestĂ€rken, weil der Sympathisierende Ă€hnliche Meinungen in einer noch "normalen" Form hegt. Die Reste von NormalitĂ€t im Sympathisierenden, seine mangelnde Folgerichtigkeit und ein gewisser Wirklichkeitssinn, der es nicht dazu kommen lĂ€ĂŸt, ideologische Meinungen in das ihnen inhĂ€rente totalitĂ€re Extrem zu treiben, erscheinen dem Parteimitglied als reprĂ€sentativ fĂŒr die gesamte außerhalb der Bewegung stehende Welt. So gewinnt er die Vorstellung, als hĂ€tte er in einer weniger konsequenten und konfuseren Weise jeden auf seiner Seite, den die Bewegung nicht von vornherein als den Feind gebrandmarkt hat - den Juden, den Kapitalisten. Durch die Frontorganisationen der Sympathisierenden hindurch erscheint die Welt als voll von geheimen VerbĂŒndeten, die nur noch nicht die notwendige Geistes- und CharakterstĂ€rke aufbringen können, um die Konsequenzen aus ihren Überzeugungen zu ziehen. Die Frontorganisationen sind die von den totalitĂ€ren Bewegungen eigens errichtete Fassade einer nichttotalitĂ€ren Außenwelt. Es ist der Ersatz der Wirklichkeit, der am wirksamsten vor der Wirklichkeit schĂŒtzt.

Ebenso wirksam nun, wie die Frontorganisationen die Mitglieder ĂŒber den eigentlichen Charakter der Außenwelt tĂ€uschen, tĂ€uschen sie die Außenwelt ĂŒber den eigentlichen Charakter der Bewegung. Die Sympathisierenden, deren alltĂ€gliches Leben ja noch innerhalb einer nichttotalitĂ€ren und nach "normalen" Regeln sich vollzieht, bieten sich natĂŒrlicherweise den Blicken der Außenstehenden zuerst dar. Sie machen zumeist noch nicht einmal den Eindruck von Fanatikern und können in jedem Fall den Anspruch erheben, daß ihre Meinung unter anderen Meinungen gehört werde. Es ist in dieser Form einer anscheinenden harmlosen Meinung unter Meinungen, daß die ideologische Fiktion zuerst in dem Meinungschaos der modernen Welt erscheint und in ihm eine erst kaum merkliche PrĂ€ponderanz gewinnt, bis schließlich in dem eigentlich prĂ€totalitĂ€ren Stadium alle Diskussionen von totalitĂ€ren Elementen vergiftet sind. [Das Chaotische dieser prĂ€totalitĂ€ren AtmosphĂ€re, in der blinde Meinungen sich ĂŒberall durchsetzen und jegliche dogmatische Verabsolutierung erstmal eine Chance hat, ist in der kleinen klassischen Schrift von Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, die 1931 erschien, geschildert.] Diese sind als solche schwer zu diagnostizieren, weil die totalitĂ€ren Meinungen von Menschen vertreten werden, die subjektiv ehrlich meinen, daß sie eben nur anderer Meinung sind als andere Leute; zudem fĂ€llt in dem ohnehin herrschenden Meinungschaos die AbsurditĂ€t gerade ihrer Meinung kaum auf. Die Sympathisierendenorganisationen hĂŒllen die Bewegung in einen Nebel der NormalitĂ€t und RespektabilititĂ€t und dienen ihnen in doppelter Weise als Fassade: Sie tĂ€uschen die Parteimitglieder ĂŒber den radikalen Bruch, den sie mit der gesamten nichttotalitĂ€ren Welt vollzogen haben; und sie tĂ€uschen die nichttotalitĂ€re Umgebung ĂŒber die radikale Andersartigkeit und AggressivitĂ€t der ideologischen Fiktion.
"Elemente und UrsprĂŒnge totaler Herrschaft", S. 544 f.
Indoktrination ist keineswegs inkompatibel mit der Demokratie. Vielmehr ihre Essenz. Ohne KnĂŒppel, ohne Kontrolle durch Gewalt muss man das Denken kontrollieren. Dazu greift man zu dem, was in ehrlicheren Zeiten Propaganda genannt wurde.
Der wahre Grund fĂŒr die unabwendbare, prinzipielle Überlegenheit aller totalitĂ€ren Propaganda ĂŒber die Propaganda aller anderen Parteien oder Regierungen ist, daß ihr Inhalt - jedenfalls fĂŒr die Mitglieder der Bewegung und die Bevölkerung eines totalitĂ€ren Landes - nichts mehr mit Meinungen zu tun hat, ĂŒber die man streiten könnte, sondern zu einem ebenso unangreifbar realen Element ihres tĂ€glichen Lebens geworden ist, wie daß zwei mal zwei vier ist. Die Vorteile einer Propaganda, die sich niemals nur auf sich selbst und ihre Argumente verlĂ€ĂŸt, sondern zu der von vornherein "die Gewalt der Organisation hinzutritt" [aus der Fußnote dazu: "FĂŒr totalitĂ€te Zwecke ist es ein Fehler, ihre Ideologie durch Lehre oder Überzeugung zu verbreiten. Sie kann, in den Worten Robert Leys, 'nicht gelehrt' und 'nicht gelernt', nur 'exerziert' und 'geĂŒbt' werden."], in der sie durch Gewalt stĂ€ndig und unmittelbar verwirklicht, was sie sagt, sind so außerordentlich, daß es fast schon eine gefĂ€hrliche UnterschĂ€tzung ihrer Möglichkeiten ist, sie noch mit dem Namen Propaganda zu belegen. Alle bloßen Argumente gegen sie, die ja aus einer Wirklichkeit stammen, welche die Bewegung ohnehin zu Ă€ndern verspricht, sind bereits im vorhinein dadurch disqualifiziert, daß die Massen die wirkliche Welt weder akzeptieren können noch akzeptieren wollen. TotalitĂ€re Propaganda ist keine Propaganda im ĂŒblichen Sinn und kann daher nicht durch Gegenpropaganda widerlegt oder bekĂ€mpft werden. Sie ist Teil der totalitĂ€ren Welt und wird nur mit ihr zusammen vernichtet.
"Elemente und UrsprĂŒnge totaler Herrschaft", S. 537
Ich war mir ohne weiteres im Klaren darĂŒber, dass unser Vorgehen darauf abgestellt war, die heutige Staatsform zu beseitigen und dieses Ziel durch geeignete Propaganda in breiten Schichten der Bevölkerung zu erreichen.
Keiner steht einfach auf und sagt "Ich werde mir das hier nehmen, weil ich es will." Er wird sagen, "Ich werde es nehmen, weil es ja eigentlich mir gehört, und es besser fĂŒr alle wĂ€re, wenn ich es hĂ€tte." Das trifft auf Kinder zu, die sich um Spielzeug streiten, und auch auf Regierungen, die in Kriege ziehen. Niemand ist jemals in einen Angriffskrieg involviert; es ist immer ein Verteidigungskrieg - auf beiden Seiten.